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Wie sicher ist es im Krankenhaus?

Sicherheit im Gesundheitswesen vs. Flugindustrie

Patientenschäden aufgrund von unerwünschten Nebenwirkungen rangiert unter den zehn häufigsten Ursachen für Tod und langfristige Schäden in Krankenhäusern auf der ganzen Welt. Medikationsfehler alleine waren 2018 verantwortlich für 350.000 Todesfälle in den USA. Der Vergleich mit den Sicherheitsstatistiken der Flugindustrie offenbart hier einen gravierenden Unterschied: Auf 12 Milliarden geflogene Meilen von 2000 bis 2018 kamen gerade einmal 0,1 Tote.

Das Gesundheitswesen ist so sicher wie Bungee Jumping

In einer Studie der Harvard Universtität für Public Health wurden Krankenhäuser in Sicherheitskategorien eingeteilt, die nach den Attributen “Auftreten von Tod oder unerwünschten Ereignissen” sowie “verlorene Leben pro Jahr” bewertet wurden. Das Gesundheitwesen fand sich in dieser Studie in derselben Sicherheitskategorie wie Bungee Jumping und Bergsteigen. Dabei erscheint diese Einschätzung eigentlich kontra-intuitiv, denn die meisten Menschen fühlen sich in Krankenhäusern ja sicher und haben das Gefühl, es werde alles für ihre Sicherheit getan. Allerdings kamen die Forscher aus Boston zu dem Schluss, dass lediglich Sektoren wie Fluglinien, Kernkraftwerke und Europäische Eisenbahnen als “ultra-sicher” eingestuft werden können.

Warum ist es im Krankenhaus denn nicht sicher?

Es ist – zugegeben – nicht ganz fair, die Sicherheit in Krankenhäusern mit der Flugindustrie zu vergleichen, die bei oberflächlicher Betrachtung vielleicht sicherer wirken. Denn die Diagnostik und Therapie von Patienten ist von Grund auf viel inhomogener und komplexer als die meisten anderen Sektoren. Folgende Aspekte tragen zu dieser Komplexität von Krankenhäusern bei:

1. Jeder Patient und jeder Krankheitszustand ist unterschiedlich und unterliegt zahllosen patientenindividuellen Parametern. Das medizinische Wissen und die damit einhergehende Vorhersagbarkeit von Behandlungsergebnissen variien in den verschiedenen Fachrichtungen erheblich und unterliegen einer immensen Dynamik. Es heißt, das medizinische Wissen verdoppele sich alle 10 Jahre. Daher ist ein immenses Spektrum an Prozess- und Managemenorganisation erforderlich, um all diese individuellen Rahmenbedingungen berücksichtigen zu können, was die Etablierung von Standards, wie sie in anderen Industriesektoren üblich und machbar sind, erheblich erschwert.

2. Krankenhäuser weisen Charakteristika von sowohl produzierenden wie dienstleistenden Gewerben auf. Dabei werden in Krankenhäusern trotz eines vermehrt einzughaltenden ökonmischen Vokabulars keine “Kunden”, “Klienten” oder “Mandanten” behandelt, sondern Patienten.

3. Die verschiedenen Mikrosysteme eines Krankenhauses (Aufnahme, Funktionseinheiten, Stationen, Fachdisziplinen, Labor, Pathologie, Mikrobiologie usw) sind eng miteinander verzahnt und dennoch eigenständige Organisationseinheiten. Kleine Fehler am Anfang der Diagnostik- und Behandlungskette führen daher zu einer Fehlerkaskade, die am Ende in schwerwiegenden Komplikationen oder sogar Tod des Patienten enden kann.

4. Die Akteure im Krankenhaus sowie deren Einfluss und Macht bewegen sich manchmal in entgegengesetzte Richtungen. Ärzte/Ärztinnen, Versicherungsgesellschaften, Investoren und Eigentümer, Pharmaindustrie, Regierungen und Regulationsbehörden und schließlich die Patienten verfolgen nicht immer dieselben Interessen. Das Gleichgewicht zwischen diesen Anspruchshalter stellt unbestritten eine Erhöhung der Komplexität dar.

5. Es gibt ein grundsätzliches Defizit von Vertrauen und dysfunktionale Beziehungen zwischen Ärzten/Ärztinnen und der Administration in etwa 50% der Krankenhäuser. In einer solchen nicht-partnerschaftlichen Atmosphäre steht bei Problemen nicht die Problemlösung sondern die Suche nach den Schuldigen im Vordergrund, was schlussendlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung der medizinischen und ökonomischen Resultate führt.

Ein tiefes Verständnis der inhärente Komplexität im Gesundheitswesen kann daher zu einer harmonischeren Ausrichtung der Interessen der verschiedenen Anspruchshalter eines Krankenhauses führen, was in der Folge zu einer höheren Sicherheit beiträgt.